Call for Papers: Theoretische Polarisierungen zwischen Humanismen und Post-/Trans-Humanismen
Veranstaltung der Sektion Soziologie des Körpers und des Sports auf dem 41. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, 26.-30.9.2022, Bielefeld
Organisation: Hanna Göbel (Hamburg), Melike Şahinol (Istanbul)
Körper gelten im soziologischen Denken seit jeher immer auch als Orte theoretischer Polarisierungen. Dieser Befund lässt sich etwa rekonstruieren in Bezug auf die basale Unterscheidung zwischen ‚körperlosen‘ oder ‚körperemphatischen‘ Paradigmen und Ansätzen oder in Bezug auf strukturgebende Kategorien des Körpers, wie Geschlecht, Sex, Alter, Color, Behinderung, die in den verschiedenen Paradigmen und Ansätzen mal sehr zentriert, mal dynamisch kombiniert und differenziert, mal weniger bis gar nicht ins Gewicht fielen. Körperliche Attribute, wie un/sportlich, un/ästhetisch usw., können ebenfalls als Ausdruck verschiedener Körperkulturen verstanden werden. An welchen Unterscheidungen die verschiedenen Auffassungen von Körpern und Körperlichkeit auch immer ansetzten, ein stillschweigend und implizit geteiltes humanistisches Verständnis vom menschlichen Körper als modus operandi des Sozialen überwog, auch wenn es umkämpft war und ist.
In den Debatten der letzten beiden Dekaden trat eine notwendige Berücksichtigung des Zusammenspiels von (Natur-)Wissenschaft, (digitaler) Technologie und dem Sozialen in den Vordergrund und führte zu Perspektiven und Ansätzen, die den menschlichen Körper als alleinigen modus operandi dezentrierten, auflösten oder multiplizierten. Gleichzeitig wurde vermehrt der somatische Rest oder die Eigensinnigkeit von menschlichen Körpern betont, die im Zusammenspiel mit verschiedenen materiellen, technologischen oder wissensintensiven sozialen Entitäten konzeptuell widerspenstig bleibe und sich nicht auflösen lasse.
Hieraus entstand eine Konstellation theoretischer Polarisierungen, in denen die existierenden Ansätze zum einen in Bezug auf ihr humanistisches Verständnis von Körpern explizit befragt werden. Und es entwickelten sich neuere Verständnisse und Ansätze, die an weitere post- und transhumanistische Perspektiven der Sozial- und Kulturwissenschaften anschließen.
Image: „Walking through a virus“ by Randy Adams https://www.flickr.com/photos/runran/3890752641/, CC BY-SA 2.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/
In posthumanistischen Ansätzen werden Unterschiede zwischen körperlichen Existenzen und Computersimulation, kybernetischen Systemen und biologischen Organismen geradezu obsolet. Eine Neuinterpretation der grundlegenden Struktur der physischen Welt begleitet und verstärkt den Organismus als informations-materielle Einheit. Gleichsam wird die Stellung des Menschen dezentralisiert. Dabei konzentriert sich der Posthumanismus auf die primäre Beziehung zwischen posthumaner und digitaler Technologie und definiert Systeme als hybride Gebilde, die den Menschen einschließen (können).
Während post-humanistische Ansätze die Relationalität und Abhängigkeit menschlicher Körper von nicht-menschlichen Entitäten und Körpern betonen und teilweise ästhetisieren, gehen transhumanistischen Ansätze der Frage nach, inwiefern Wissenschaft und (digitale) Technologien einen (ökonomisch) effizienten Beitrag dazu leisten können menschliche Körper durch konvergierende Technologien, also Nano-, Bio, Informations- und Neurotechnologien, zu erweitern und zu perfektionieren, gar unsterblich zu machen.
Im Dickicht der verschiedenen Lektüren, Studien und Debatten entstehen deshalb derzeit theoretische Polarisierungen, die Körper zwischen einer radikalen Abhängigkeit und Verflochtenheit mit Wissenschaft und Technologie auf der einen Seite sehen oder auf der anderen Seite menschliche Körper gleich einem Phantasma und in einer den humanistischen Gedanken gänzlich übersteigenden neuen Evolutionsstufe positionieren.
Deutlich wurde an den polarisierenden Debatten der vergangenen Jahre auch, dass sich gegenwärtig die grundlegende soziologische Bezugnahme auf das, was in den verschiedenen Paradigmen lange Zeit als humanistischer Bezugspunkt des Sozialen galt, verschiebt.
Die Sektionsveranstaltung lädt zu Beiträgen ein, die sich konzeptuell und/oder empirisch mit den verschiedenen Spannungsverhältnissen, Ambivalenzen und theoretischen Polarisierungen zwischen Humanismen, Post- und Transhumanismen in der soziologischen Perspektive auf Körper und/oder auf den Sport und in der Bezugnahme auf die sozial- und kulturwissenschaftlichen Debatten auseinandersetzen. Leitfragen für die Orientierung sind:
- Theoretische Polarisierungsstrategien: Welche Strategien der theoretischen Polarisierung können in gegenwärtigen Debatten, auf der Ebene von Phänomenen und in empirischen Bezugnahmen auf Körper ausfindig gemacht werden? Inwiefern leisten Sie einen Beitrag dazu, den humanistischen Bezugspunkt auf Körper in verschiedenen Paradigmen und Ansätzen neu und anders soziologisch zu thematisieren?
- Grenzziehungen von Körpern: Was kann im Zusammenspiel von (Natur-)Wissenschaft und Technologie soziologisch überhaupt als Körper und Körperlichkeit gelten, wie wird differenziert und wo müssten die Grenzziehungen ansetzen? Durch welche nicht-menschlichen Akteure werden Körper wie dezentralisiert, geformt und erweitert? Und wo liegen die Grenzen des Körperlichen, z. B. hinsichtlich seiner Vulnerabilität, Leistungssteigerung und in Bezug auf Körper als informations-materielle Einheit?
- Soziologische Re-Lektüren: Welche Re-Lektüren beispielsweise von soziologischen oder phänomenologischen Klassikern oder vitalistischen Positionen bieten sich an, um Bezugnahmen auf gegenwärtige Positionen herzustellen?
- Körperliche Exklusivitäten: Wie lassen sich die gegenwärtigen Debatten und Ansätze zusammenbringen mit den existierenden Forschungen zur sozialen Ungleichheit von Körpern in „polarisierten Welten“ und insbesondere in Bezug auf Geschlecht, Sex, Alter, Color, Behinderung und andere körperliche Attribute, wie un/sportlich, un/ästhetisch, etc.?
Bitte senden Sie ein aussagekräftiges Abstract (max. 1 Seite) für Beitragsvorschläge bis zum 15.4. an die Organisatorinnen:
Hanna Göbel (hanna.goebel@hcu-hamburg.de) und
Melike Şahinol (sahinol@oiist.org)